Olympia Tokyo 2021 – Interview mit Nicolae Ghita/Nationaltrainer

Entretien avec Nicolae "Nico" Ghita, entraîneur national de lutte libre

SWFE: Du bist Olympia-erfahren – die wievielte Teilnahme ist Tokyo 2020?

Tokyo 2020 wird die 7. Teilnahme an Olympischen Spielen sein:

1992       Barcelona ESP                    Freistil 82 kg                        7. Rang

1996       Atlanta USA                         Freistil 82 kg                      13. Rang

2000       Sydney AUS                        Freistil 85 kg                        8. Rang

2004       Athen GRE                          Freistil 84 kg                        9. Rang

2012       London GBR                        Nationaltrainer Rumänien Freistil

2016       Rio de Janeiro BRA             Nationaltrainer Deutschland Frauen

2020       Tokyo JAP                          Nationaltrainer Schweiz Freistil


SWFE: Welches sind Deine wichtigsten Erfahrungen aus 6 Olympischen Turnieren?
Eine Olympia-Teilnahme ist das grösste Ziel jedes Athleten. Olympia ist nicht mit einer EM oder WM vergleichbar. Es herrscht im Olympischen Dorf ein unglaublicher Spirit unter allen! Nach 4 Teilnahmen als Athlet konnte ich meine Erfahrungen als Nationaltrainer in Rumänien, Deutschland und der Schweiz einbringen und neue Herausforderungen annehmen.

SWFE: Dein eindrücklichstes Erlebnis in Deiner bisherigen Karriere?
Alle Teilnahmen an Olympischen Spielen. Mein Vize-Europameister-Titel an der EM 1997 – damals verlor ich den Final gegen den Russen Khadshimurad mit 2:4 Punkten. Ich bin auch stolz, bei über 30 Internationalen Medaillen als Nationaltrainer mitgewirkt zu haben.

SWFE: Gibt es markante Unterschiede in den Strukturen im Vergleich zu anderen Nationen wie Rumänien, Deutschland oder Polen?
Nein, nicht mehr! Nachdem Swiss Wrestling ab 2017 mit neuen Konzepten und Strategien den Olym-piazyklus Tokyo 2020 startete, veränderte sich sehr viel. Die Professionalität optimierte sich in allen Bereichen. Die ständige Planung und Kommunikation zwischen SWFE, Technik, Trainerstab, Physio, Athleten*innen und Clubs zeigte die angestrebte Wirkung. Die Erfolge traten mit Medaillen ein. Die Ringernationen zollten der Schweiz den nötigen Respekt. Wir sind nun bei allen Nationen als Trainingspartner willkommen. Ich erhalte von vielen Nationaltrainern Komplimente über unsere ein-drücklichen Fortschritte und Erfolge!

SWFE: Welche sind Deine favorisierten Trainingsdestinationen? Warum?
Wir arbeiten mit 5-6 Nationen eng zusammen und organisieren gemeinsame Trainingslehrgänge. Die Kommunikation ist auch hier sehr wichtig. In Polen und Moldawien treffen wir sehr gute Bedingungen an, da jeweils etwa 80-100 Athleten in allen Kategorien (Kadetten, Junioren, Frauen, Aktive) teilnehmen. Es hat für jeden unserer Athleten ideale, den Kräfteverhältnissen entsprechende Sparrings. Mit vielen ebenbürtigen und «besseren» Ringern spüren unsere Athleten, wie ihre potentiellen Gegner funktionieren. Trainingscamps in Dagestan mit den Russen sind sehr interessant und lehrreich. Die Dichte und Qualität der Russischen Athleten ist jedoch ein ganz anderes Kaliber. Man sollte die Athleten nicht überfordern, sondern leistungsgerechte Einheiten durchführen.

SWFE: Den kürzlichen Lehrgang in Dagestan/Russland musstest Du von zuhause aus betrachten, weil Dir das Visum für Russland verweigert wurde …
Ja leider! Ich war schon einige Male in Russland und erwartete keine Probleme mit dem neuen Visum. Die Botschaft verlangte von mir, dass alle notwendigen Dokumente neu ausgefertigt werden. Nachdem ich diese einreichte, stellte die Botschaft die Visumserteilung in Aussicht. Im letzten Moment wurde mir aber mitgeteilt, dass die Erteilung eines Einreisevisums nicht gewährt wird. Das hat nichts mit der Person Nicolae Ghita zu tun, sondern muss politische Gründe haben. Rumänische Athleten hatten auch schon dieselben Probleme …

SWFE: Du hast Dich im 2017 als Schweizer Nationaltrainer beworben …
Swiss Wrestling suchte in einer Ausschreibung einen Nationaltrainer Freistil. Ich kommunizierte mit Ludi Küng – mein Vorgänger bei SWFE – der mich motivierte und meine Bewerbung dem Zentral-vorstand «schmackhaft» machte. Ich sah vor allem ein Potential und wollte diese neue Herausfor-derung annehmen. Kollegen sagten, «man müsse ein wenig verrückt sein, diesen Job anzunehmen»!

SWFE: Die Schweiz ist keine Ringernation und die Athleten eher selten Voll-Profis – war dies eine grosse Umstellung für Dich?
Es war eine Umstellung! Ich kannte die Schweizer Mentalität nicht 100% und fand bei Stellenantritt ca. 7-8 Kaderathleten in der Elite vor. Der Hochleistungssport Ringen hatte in der Schweiz einen anderen Stellenwert. Ich sah jedoch die neuen Strategien und Konzepte und war motiviert, die ent-sprechenden Massnahmen mitzutragen und umzusetzen. Ich habe mein Engagement nie bereut.

SWFE: Was würdest Du im Umfeld des Nationalkaders gerne verändern?
Veränderungen oder Optimierungen werden bei SWFE regelmässig mit dem SWFE-Staff und den Chefs Technik kommuniziert. Wir haben ein stabiles Fundament mit guten Trainern im Verband und den Vereinen. Der Kontakt zwischen den Vereinen, Regionen und den technischen Verantwortlichen muss weiterhin intensiv praktiziert werden. Meine 1. Priorität: Die Pyramide nach oben! Das heisst: Die «untere Ebene» mit dem Nachwuchs muss mit Projekten in den Clubs und Schulen sichergestellt werden. Der Nachwuchs ist das Potential für die Zunkunft und unser Nachwuchs hat Potential!

SWFE: Du hast ein paar Monate nach Amtsantritt im 2017 gesagt, dass Du zwei Jahre Zeit brauchts … «dann kommen die Medaillen»?
Wir haben 2018 bis 2021 im Freistil insgesamt 7 Medaillen an EM, WM, CISM und Weltcup gewonnen. Ich bin sehr stolz auf diese Erfolge! Auslöser war die sensationelle Bronze-Medaille an der EM 2019 in Bukarest durch Randy Vock. Dieser historische Erfolg führte zu einem Motivationsschub und einem unglaublichen Team-Spirit. Sämi Scherrer und Stifi Reichmuth explodierten förmlich und rissen alle Kadermitglieder mit – der Ringsport in der Schweiz ist wieder «in».

SWFE: Im 2024 finden in Paris die nächsten Olympischen Spiele statt – wie sind mit dem aktuellen Kader Deine Erwartungen?
Wir sind auf sehr gutem Weg! Sämtliche Kader schlossen an den vorerwähnten Erfolgen an und er-kämpften sich internationale Medaillen. Die Kadetten, Junioren und Frauen machten Fortschritte und zeigen sich motiviert und trainingsfleissig. Die Elite-Kader Freistil und Greco sind im Durchschnitt 23 Jahre alt. In Paris 2024 werden unsere Athleten zwischen 24 und 29 sein – ein gutes Alter! Es wird entscheidend sein, dass wir weiter viel und hart trainieren. Die ca. 200 Tage pro Jahr im Ausland sollen ideale Sparrings bringen. Die Athleten brauchen regelmässig eine Orientierung, indem sie sich mit den Konzepten, der Philosophie dahinter und dem Staff identifizieren – nur so kommen weitere Er-folge! Der Glücksfaktor spielt auch eine Rolle, ich werte diesen Faktor aber eher minimal. Die Realität ist: SWFE, Technik, Staff und die Vereine leben denselben Spirit und gehen mit derselben «Sprache und Hand in Hand» den Weg der harten, intensiven Arbeit.

SWFE: Du hast als Nationaltrainer der Schweiz weltweit aufgrund der Erfolge Aufmerksamkeit erregt – kannst Du Dich vor Angeboten noch wehren?
Puhhh (überlegt lange) … ich denke nicht soweit, sondern lebe den Moment! Wir haben in 4 harten Jahren sehr viel erreicht und stehen vor dem Höhepunkt dieses Zyklus mit Tokyo 2020. Nach Tokyo werden wir alles analysieren und neue Strategien und Ziele definieren. Ich bin kommunikativ und flexibel und schaue dieser Phase zuversichtlich entgegen. Ausserdem: Ich möchte mit mindestens einem meiner Athleten einen 1. Rang erreichen … das hatten wir noch nicht!

SWFE: Nico Ghita – wir wünschen Dir und Stifi Reichmuth in Tokyo viel Erfolg! Wir erwarten Euch gerne gesund zurück in der Schweiz!